Wie werde ich ein besserer Tyrann?
Tipps für Autokraten im postfaktischen Zeitalter
Günther Orth
Tyrannei ist so alt wie die Menschheit, wenn nicht älter als diese. Tyrannei finden wir auch im Tierreich von Affen bis zu Wildschweinen, wo stärkere Tiere schwächere ihrer Art schikanieren, und von den Tieren haben wir es übernommen, als wir selber noch welche waren. Ein evolutionär so bewährtes Konzept sollte man daher nicht ohne Not aufgeben, nur weil irgendwelche Leute davon reden, dass Tyrannei angeblich nicht mehr in unsere Zeit passe oder sogenannte Menschenrechte verletze. Vielmehr gibt der Erfolg Ihnen, liebe Tyrannen dieser Welt, Recht. Während die „Demokratien“ sich für besser als „Diktaturen“ halten, wanken sie und hadern mit sich selbst, ja sie verwandeln sich zusehends selbst in populistische Tyranneien. Wir können ihnen beim Scheitern quasi zusehen und uns darüber amüsieren, wie man sich dort um Kopf und Kragen debattiert, während das jeweilige Volk in zunehmendem Maße selbst in Wahlen seiner Sehnsucht nach Tyrannei Ausdruck verleiht.
Die Tyrannei in all ihren Spielarten steht heute, nach einigen Jahrzehnten westlicher Demokratie, wieder in höchster Blüte. Staatschefs, Religionsführer, Stammesvertreter, Großunternehmer, Parteivorsitzende und sonstige Mächtige fahren sehr gut damit. In immer mehr Ländern der Welt sehen wir, dass nur wer Krieg führt (vorzugsweise gegen die eigene Bevölkerung) und Folter, Hetze und Terror gegen seine Widersacher einsetzt, dauerhaft an der Macht bleibt. Wer unter solchen Regimen von Demokratie, Pluralismus, Menschenrechten und Zivilgesellschaft faselt, zieht den Kürzeren. Ihre Gefängnisse, lieber Tyrann, warten nur auf solche Leute.
Dass wir seit Neuestem in einer Zeit leben, in der Argumente und Fakten nicht viel gelten, kommt Ihnen nur zugute. Trotzdem sollten Sie als Tyrann Fehler vermeiden, denn Ihre Macht ist kostbar; sie ist alles, was Sie haben. Hier also ein paar Tipps, sie abzusichern. Sie werden sehen, dass das gar nicht so schwer ist.
Auch Tyrannen lassen wählen
Wahlen gibt es nicht nur in Demokratien. In fast allen Ländern gibt es irgendeine Art von Wahlen, zum Beispiel weil die Verfassung sie vorschreibt. Wenn es also sein muss, dann lassen Sie wählen, zum Beispiel in den Ferien, damit eventuell vorhandene Oppositionsparteien gar nicht erst in Wahlkampfstimmung kommen. Aber noch wichtiger ist Ihr Medienmonopol, das es allen eventuellen Konkurrenten erschwert, sich der Öffentlichkeit auch nur bekannt zu machen. Sie können derweil durch die Sonne reiten oder angeln gehen und sich dabei „zufällig“ fotografieren lassen, Hauptsache Sie sehen dabei einigermaßen volkstümlich aus. Sollten Sie elitäre Hobbies wie Elefantenjagd im Nationalpark betreiben, dann tun Sie das, aber lassen Sie sich dabei lieber nicht fotografieren.
Wenn es Ihre Lage zulässt, sprich wenn es eine organisierte Opposition gar nicht gibt, dann lassen Sie Ihre Geheimdienste auf jeden los, der Sie immer noch nicht wählen will. Aber Vorsicht: Heutzutage ist es nicht mehr zeitgemäß, mit über 90% der Stimmen zu gewinnen; da entstehen schnell Zweifel an der Rechtmäßigkeit einer Wahl. Gestehen Sie Ihren Gegnern (bzw. den von Ihnen selbst ernannten Gegenkandidaten) also gerne mal 20 bis 30% der Stimmen zu. Im Zweifel fälschen Sie die Wahlen in diesem Sinn. Aber wenn Sie alle hier gesammelten Tipps anwenden, kommen Sie locker auch „in echt“ auf weit über 50% Stimmenanteil, und der reicht, um sich nach gewonnener Wahl über die „Minderheit“ lustig zu machen und die eigene Macht langfristig abzusichern, falls Sie neu im Amt sind. Denn Macht macht sexy, und nur um die Macht geht es in Ihrem Job.
Halten Sie Referenden ab. Aber nur, wenn das Ergebnis feststeht
Wenn Ihr Volk, wie oben beschrieben, in Ihrem Sinn patriotisch zugerichtet ist, dankt es Ihnen jede vermeintliche Gelegenheit, gehört zu werden. Wahlen reichen nicht immer aus, vor allem, wenn man Sie beziehungsweise Ihr Regime schon über Jahre und Jahrzehnte immer wieder bestätigt hat. Am Ende kommt noch jemand und sagt, Sie hätten zu lange regiert. Besser ist es, die braven Bewohner Ihres Landes alle paar Jahre auch mal über etwas anderes abstimmen zu lassen. Am besten über Unwichtiges, wie irgendein Gesetz oder eine Verfassungsreform, die praktisch nichts ändert, oder darüber, dass Ihre Macht, Herr Tyrann, noch gestärkt wird. In diesem Fall müssen Sie allerdings sicherstellen, dass Sie gewinnen. Schon mancher Präsident hat ein Plebiszit über die Zulässigkeit einer dritten, vierten oder fünften Amtszeit wider Erwarten knapp verloren. Dann mit Notstandsgesetzen einfach weiterzuregieren und auf Demonstranten schießen zu lassen gibt kein schönes Bild ab. Und das Image nach innen und nach außen regiert heute mit, wie im nächsten Abschnitt ausgeführt wird.
Wie mache ich mir die internationale Öffentlichkeit geneigt?
Wir alle kennen die Macht der Bilder im Zeitalter des Internets. Da taucht ein Video auf, in dem einer Ihrer Schergen einen Gefangenen foltert oder einen Bürger auf offener Straße misshandelt oder in dem gar Sie selbst jemanden grundlos beleidigen. Es kann auch noch schlimmer kommen, z.B. wenn offenbar wird, dass Soldaten Ihrer Armee auf Befehl Ihrer Geheimdienste hin Flugzeuge anderer Nationen vom Himmel geholt haben, ohne dass Sie mit diesen im Krieg sind, oder dass Ihre Schergen einen unbescholtenen ausländischen Bürger zu Tode gefoltert haben. Natürlich könnten Sie den einen oder anderen Sicherheitschef dafür verantwortlich machen und feuern, schließlich sind die alle ersetzbar, auch wenn sie es nicht glauben wollen. Aber das wäre zugleich eine Art Schuldeingeständnis und somit eine Blöße, die Sie sich nicht geben müssen.
Viel wirkungsmächtiger ist das Prinzip des Anzweifelns der Bilder und Videos. Schließlich wissen wir doch alle, wie leicht so etwas heutzutage gefälscht werden kann. Wenn tote Zivilisten nicht abzustreiten sind, dann lassen Sie verbreiten, diese seien bereits vorher tot gewesen oder von irgendeiner Gegenseite umgebracht worden. Fälschen Sie zugleich Ihrerseits Gegenbeweise, und wenn auch dies auffliegt, dann stellen Sie eine ganz neue These auf, die alles und nichts erklärt oder lassen Sie bei einer Verkehrskontrolle unschuldige Bürger erschießen und behaupten Sie, diese seien bewaffnet gewesen und hätten ihrerseits die besagten Opfer auf dem Gewissen. Der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt. Es ist zwar unwahrscheinlich, dass Ihnen die Weltöffentlichkeit glaubt, insbesondere wenn alle Ihre Theorien sich gegenseitig widersprechen, aber wenn ein Prinzip sich als tauglich erwiesen hat, dann jenes, dass es zu Skandalen „unterschiedliche Versionen“ gibt.
Insbesondere dann, wenn Sie international und vor allem auch in demokratischen Ländern Sympathisanten haben, werden Sie zumindest wie gewohnt weitermachen können, solange die Devise gilt, der Fall sei „nicht gänzlich aufgeklärt“. Im Notfall ermitteln Sie selbst, und wenn sich diese „Ermittlungen“ über Jahre hinziehen, um so besser für Sie. Die Welt vergisst schnell. Es passiert so viel anderes, womit sich die Leute auf der Welt gerade beschäftigen. Fast jedes Problem lässt sich aussitzen. Und wenn doch einmal nicht, wie wäre es dann mit dem Angebot an den Westen, Flüchtlinge zurückzuhalten? Na sehen Sie! Nun sagt niemand mehr etwas Böses über Sie, und Sie bekommen noch Geld dafür, selbst wenn der Internationale Strafgerichtshof Ihre Auslieferung verlangt.
Noch leichter ist es, Verbrechen gegen andere Völker abzustreiten, die Ihre Nation angeblich irgendwann einmal begangen hat, denn meist liegen diese so lange zurück, dass es keine Videos davon gibt. „Wer redet heute noch von den Armeniern“, sagte schon Hitler, und begann gleich damit, den nächsten Völkermord vorzubereiten. Und glauben Sie nicht, dass Hitler überall so einen schlechten Ruf hat. Er hat als Tyrann nur etwas übertrieben und wird Ihnen deshalb bis heute zuweilen als Vergleich vorgehalten – was Sie natürlich empört zurückweisen müssen.
Man kann internationale Kritik aber auch ganz anders abblocken. Manche autokratisch regierte Länder „sagen“ einfach kaum etwas, sie erlauben kein Internet oder zensieren es, sie lassen kaum Tourismus ins Land und wirken nach außen fast so, als seien sie nicht da. Wie schwer allerdings genau dieses Abtauchen manchem der Herrschenden fällt, zeigt das Beispiel Kim Jong Un, dessen ständige überdrehte Atomtests seinem Ruf mehr schaden als seine geheimen Todeslager, über die sich der Westen und die UNO viel weniger erregen. Da ist ein quasi unbekannter oder seit Jahren todkranker Präsident wie zum Beispiel in Algerien weit zweckdienlicher. Aber lassen wir diese Ausnahmen. Potentaten wollen für gewöhnlich einerseits möglichst berühmt sein und andererseits diskret in Luxus leben. Aber hier kommen wir zu einem anderen Problem:
Wie komme ich zu Reichtum und Vermögen und stelle mich zugleich als bescheiden dar?
Tyrannei und Anhäufung von Reichtümern sind geradezu Synonyme. Wie Sie zu Geld kommen, brauche ich Ihnen nicht zu erklären. Selbst wenn Ihr Land gar nichts hat oder produziert, die Bürger haben immer irgendetwas, und Sie haben den Zugriff auf die Steuern, und ein paar Millionen sind da immer für Sie dabei. Erteilen Sie Lizenzen nur an loyale Geschäftsleute, verschenken Sie das halbe Land an Freunde und Verwandte, schließlich gehört es Ihnen, also seien Sie auch einmal großzügig, denn dadurch erkaufen Sie sich wichtige Freunde.
Aber den Protz zur Schau zu stellen sollten Sie vermeiden. Schließlich leben wahrscheinlich nicht wenige Ihrer Bürger in großer Armut oder sterben an den lächerlichsten Krankheiten, und Sie wollen diesen sicher keine Sozialhilfe oder eine staatliche Krankenversicherung zahlen. So dick haben Sie es nun auch wieder nicht! Also verschleiern Sie Ihr Vermögen so gut es geht mit Scheinfirmen und Strohmännern, und wenn dann doch einmal Ihr Name in einer Geschichte wie mit den Panama Papers auftaucht, dann erklären Sie auch das zu einer ausländischen Verschwörung und reden Sie von etwas anderem, zum Beispiel vom glorreichen Befreiungskampf gegen die Invasoren von früher, den Sie, Ihre Familie oder Ihre Partei auch heute noch verkörpern. Und bleiben Sie bei der Behauptung, Sie lebten nur von Ihrem bescheidenen Gehalt. Lachen Sie ruhig darüber, dass Ihnen das manche Leute glauben, aber nur unter Ihresgleichen. Lachen ist gesund.
Wie gehe ich mit Presse und Zivilgesellschaft um?
Unabhängige Journalisten und Bürgerrechtsaktivisten können eine echte Landplage für jede autokratische Regierung sein. In manchen Ländern haben solche zivilen Dinge Tradition beziehungsweise sind ein Relikt aus früheren Jahrzehnten, woanders stehen sie noch am Anfang und wollen sich etablieren. In wieder anderen Ländern finden für eine freie Presse und Bürgerrechte zuweilen regelrechte Revolutionen statt. Aber seien Sie versichert, es geht Ihrem Land und vor allem Ihnen selbst besser ohne solche Dinge, denn im Zweifelsfall befinden Sie sich immer in einer kritischen Phase und können sich keine Experimente mit unerfahrenen Zivilisten erlauben.
Streuen Sie daher Gerüchte, die Aktivisten, die Ihre Macht untergraben wollen, seien schwul, jedenfalls viele von ihnen, und die Demonstrantinnen, so es sie gibt, seien Huren oder sonstwie unmoralisch. Man sieht es ja schon daran, dass sie einfach so öffentlich protestieren. Je nachdem, wie konservativ Ihre Untertanen sind, funktioniert das prächtig. Bezeichnen Sie sie zudem als Agenten, die für Geld aus dem Ausland gegen die guten Sitten und heiligen Traditionen Ihres Volkes intrigieren. Halten Sie sich einen Stab an Mitarbeitern, die in den sozialen Medien, so diese bei Ihnen zugelassen sind, gegen die Unruhestifter hetzen. Die Ihnen hörigen Bürger machen es aber auch umsonst und von zu Hause aus. Sie werden sehen, wie sich die meisten Bürger mit Ihnen gegen die vaterlandslosen Verräter solidarisieren werden, selbst wenn sie nicht wissen, wie sie sich und ihre Familien bis zum jeweiligen Monatsende durchbringen sollen.
Sie können auch dafür sorgen, dass die Oppositionellen sich gegenseitig zerfleischen. Streuen Sie auch hier wieder Gerüchte, aber die gegenteiligen: Dass der Aktivist X und die Menschenrechtsanwältin Y mit Ihrem Geheimdienst gemeinsame Sache machen. Sie müssen es nicht beweisen, irgendetwas bleibt immer hängen. Und schon sind Ihre Gegner mit sich selbst beschäftigt. Machen Sie ab und an öffentliche Ansprachen, lassen Sie sich dabei bejubeln und verspotten Sie die Opposition. Gewinnen macht Spaß.
Patriotismus? Ja, für die Bürger!
Dabei müssen die vaterländischen Fahnen immer schön groß mit Ihnen ins Bild kommen. Sie dienen schließlich nur Ihrem Land. Ich gebe zu, das war ein Scherz. Es reicht natürlich, dass das Volk sich abmüht, nicht Sie. Schon Samuel Johnson wusste, dass Nationalismus die letzte Zuflucht jedes Schurken ist, also genau Ihr Metier. Überzeugen Sie Ihre Untertanen davon, dass die Patria bedroht ist und zu ihrer Rettung leider einschneidende Maßnahmen notwendig sind. Das Land wird es den Bürgern (bestimmt vielleicht irgendwann) danken, dass sie sich gegen den Verrat in Form von Menschenrechtsforderungen und ähnlichem Unsinn erhoben haben. Patriotismus ist ein Urreflex in allen Gesellschaften und muss nur geschickt aktiviert werden. Mit ihm hält man sich schon einmal den größten Teil aller kritischen Fragen vom Leib.
Geben Sie sich auch selbst patriotisch, das ist Ihr Job, und sprechen Sie in völkischen, rassistischen, antisemitischen, antiliberalen, homophoben und antidemokratischen Phrasen, Hauptsache Sie füttern das Selbstwertgefühl Ihrer Bürger, denn die mögen so etwas. Gerade wenn man sie wegen ihrer Staatsangehörigkeit in der Welt sonst nicht so achtet, können Sie Ihren Untertanen mit solchen Tiraden das Gefühl geben, sie würden mit jeder ihrer hetzerischen Äußerungen ein Stück wachsen. Überhaupt sind Gefühle wichtiger als Fakten, siehe oben.
Wie wichtig ist Religion für Tyrannei?
Das kommt ganz darauf an. Manche Diktaturen bauen geradezu auf dem Jenseitsglauben auf, besonders wenn die Bevölkerung von sich aus schön fromm ist. Bestärken Sie sie in ihrem Kleinkrämertum und bieten Sie sich als Bewahrer des wahren Glaubens an. Besonders gut funktioniert das, wenn dieser in Konkurrenz zu einer anderen Religion oder Konfession steht und deren Repräsentanten Ihnen politische Schwierigkeiten machen. Machen Sie den Leuten Aussicht aufs Paradies, wenn sie zu Ihnen stehen und Angst vor der Hölle, sollten sie murren.
Es bleibt freilich eine schwierige Gratwanderung, denn sollten Fanatiker der von Ihnen vereinnahmten religiösen Ideologie zum Terror neigen, dann ist auch Ihr Regime irgendwann in Gefahr, weil angeblich nicht fromm genug. Versuchen Sie die radikalen Gotteskrieger in diesem Fall in Kriege in anderen Ländern zu schicken oder finanzieren Sie dort solche. Aber immer so, dass es möglichst niemand beweisen kann.
Selbst glauben müssen Sie natürlich nichts, auch nicht an Gott. Es genügt in den meisten Fällen, an hohen religiösen Feiertagen den Religionsführern Ihres Landes Ihre Aufwartung zu machen. Diese werden von Ihnen schwärmen, wenn Sie dabei schöne Worte finden. Amen.
Personenkult
In einer echten Diktatur hängt das Bild des Tyrannen überall. Am Flughafen, in Hotelrezeptionen, im Theater über der Bühne, in jedem Postamt und auf der Straße. Sollte Ihre Macht auch religiös begründet sein (siehe voriger Abschnitt), dürfen Ihre Bilder selbst in Gotteshäusern hängen. Lassen Sie der Fantasie Ihrer Untergebenen freien Lauf. Im Normalfall werden die selbst einen Wettlauf darum starten, Ihr Porträt im ganzen Land zur Schau zu stellen.
Manch modern eingestellter Gebildeter mag sagen: Personenkult, wie primitiv! Lassen Sie sich nicht davon beirren, selbst wenn es Ihnen persönlich ein wenig peinlich sein sollte, dass man Ihr Bild überall anbetet, und sei es auch nur aus Furcht. Denn genau darum geht es: Dass Sie sich in einen Heiligen verwandeln und die Leute Angst vor Ihnen haben. Lassen Sie im Notfall zu, dass die Leute sich über Ihre Polizei beschweren oder über einzelne Minister, kein Problem. Aber Sie selbst müssen unantastbar sein, und das verstehen die Bürger am besten, wenn Ihr Bild überall herumhängt. Oder machen Sie ein Dreigestirn zur offiziellen Parole: „Gott, Heimat, Führer“ zum Beispiel. Gottlos will keiner sein, ein Vaterlandsverräter auch nicht. Und wer gegen Sie aufbegehrt, der ist genauso schlimm; das verstehen die Leute, wenn sie den Spruch oft genug gelesen haben. Und vertrauen Sie darauf, dass niemand gegen Sie aufmucken wird. Denn Personenkult wirkt.
Besatzung
Die Beherrschung fremden Territoriums ist nicht an und für sich gut oder schlecht. Sollten Sie der Okkupant sein, dann werden Sie schon wissen, wozu Sie den entsprechenden Landstrich brauchen. Vielleicht als Militärbasis oder wegen dort vorhandener schöner Bodenschätze. Sagen Sie aber in der Öffentlichkeit etwas anderes, in erster Linie, dass das Land historisch immer schon Ihrer Nation gehört hat und die dortige Bevölkerung dort entweder nichts verloren hat oder in Wirklichkeit zu Ihnen gehört und nur verhetzt ist und deshalb anderes behauptet. Lassen Sie ab und zu die UNO ins Gebiet und tun Sie nichts, was die von Ihnen verlangt. Machen Sie das Beste aus dem geraubten Land und behaupten Sie, dass es dort nie so schön war wie heute unter Ihrer Herrschaft. Verfahren Sie unnachsichtig mit allen, die das in Frage stellen, und verhindern Sie, dass sich Teile Ihres Volkes mit den Besetzten solidarisieren. Die Massen werden Sie bejubeln.
Sollten Sie selbst Land an eine nahe oder ferne Nation verloren haben, dann ist das auch kein Unglück. Sie haben somit die Möglichkeit, sich als Opfer zu gerieren und bei jeder Gelegenheit zu schwören, Sie würden die besetzten Gebiete irgendwann zurückholen. Das Volk mag solche Rhetorik, besonders wenn es, wie oben beschrieben, patriotisch gesinnt ist. So manche Tyrannen reiten über Jahrzehnte auf Rückholungsparolen herum und geloben den Tag der heiligen Rache. Es funktioniert fast immer. Racheschwüre sind süß.
Wie verhalte ich mich bei Aufständen?
Es darf bei Ihnen nicht so weit kommen wie damals in Libyen. Der Lynchmord von Bürgern am eigenen Führer war ein Sündenfall. Diese Bilder drohten zu einem Menetekel für Tyrannen zu werden, zumal rund um Libyen Regime wankten und Herrscher abtraten. Einen Moment lang mussten Männer wie Sie fürchten, eines Tages vom eigenen Volk zur Rechenschaft gezogen zu werden.
Ihr Kollege in Syrien ist ein Beispiel dafür, wie man in solch einem Moment klug reagiert. Er lässt seitdem nicht nur konsequent die eigene Bevölkerung töten und vertreiben, sondern er spielte auch die Weltmächte so geschickt gegeneinander aus, dass er nun wohl tatsächlich „auf ewig“ (so sein freundliches Motto) weiter tyrannisieren kann. Die katastrophalen Zustände in seinem Land sind heute eine Warnung an jeden, der sich überlegt, gegen ein tyrannisches Regime aufzubegehren.
Unterwandern Sie Protestbewegungen, wenn es sie gibt, behaupten Sie, selbst für deren Ziele zu stehen, lassen Sie foltern und schaffen Sie einen Feind, der noch schlimmer scheint als Sie selbst, am besten indem dieser seine Gräueltaten filmt und verbreitet. Angst ist ein guter Ratgeber. Und erklären Sie Ihren Untertanen, Sie kämen selbst aus einfachen Verhältnissen, hätten früher in Armut gelebt und wüssten daher am besten, was für Ihr Land gut ist undsoweiter. Es reicht, dass ein Teil Ihrer Bürger das glaubt und daraus eine trügerische Hoffnung schöpft. Schlagen Sie alle Proteste konsequent nieder und sagen Sie, dass Ihr Land keine Unruhestifter brauche. Gehen Sie kein Risiko ein.
Ursache aller Übel sind immer andere
In jedem Land der Welt, wohl auch in Ihrem, gibt es hier und da auch kleine Probleme: Kriminalität, Armut, schlechte Bildung, Wassermangel, Umweltzerstörungen bis hin zur Unbewohnbarkeit, schlechte Krankenhäuser sowie Korruption aller Art. Manche sagen auch, Letztere würde alles zuvor Genannte bedingen, aber hören Sie nicht darauf, denn ohne Korruption wären Sie gar nicht im Tyrannenamt, und haben Sie etwa keine „Menschenrechte“? Na also.
Wenn es Ihnen nicht gelingt, solche Missstände abzustellen oder Sie nicht die Möglichkeit haben, diese durch die Verteilung von Geld und Wohltaten abzumildern, etwa wenn irgendein hochpreisiger Bodenschatz unter der Erde Ihres Landes ausgebeutet werden kann, dann heißt das noch lange nicht, dass Sie für das Elend verantwortlich zu machen sind. Stellen Sie sich als den Mann dar, der unermüdlich versucht, all diese Plagen zu bekämpfen, aber vor allem als der, der weiß, dass äußere Feinde Ihrem Land Übles wollen. Der Kampf bzw. Widerstand gegen diesen übermächtigen Gegner sollte geradezu Ihre Legitimationsgrundlage sein. Und haben Sie nicht zu viel Angst davor, dass die Menschen ausgerechnet wegen Armut und Ungerechtigkeit Ihnen gegenüber missmutig werden. Die meisten Leute lassen sich, das postfaktische Zeitalter lässt grüßen, gerne durch gänzlich andere Themen ablenken, siehe den Abschnitt zum Patriotismus.
Bestrafen Sie auch regelmäßig kleine oder mittlere Funktionäre und machen Sie ihnen den Prozess, nachdem diese alle Schuld auf sich genommen haben. Es wird sich dadurch zwar nichts ändern, aber indem Sie ihnen vor der Kamera Geständnisse abnötigen, freuen sich die Leute über das spannende Fernsehprogramm und glauben zudem, dass Sie nicht müde werden, die Mängel Ihres Landes abzustellen. Sagen Sie auch ruhig, so etwas dauere eben seine Zeit, weil die Feinde Ihres Volkes beständig gegen Ihr Land arbeiten. Die Amerikaner, die Juden, die Freimaurer, oder wahlweise die von Ihnen ins Exil gedrängten Bürger Ihres Landes, die sich zum Verrat an Ihrer Nation verschworen haben. Oder das böse Nachbarland, das schon immer Ihre Gegner finanziert. Die Zivilgesellschaft, die Schwulen, die Drogensüchtigen, die Ausländer, die Andersgläubigen oder Andershäutigen. Ihnen fällt schon etwas ein.
Oder suchen Sie sich – sollten Sie selbst keine sein – eine Großmacht wie die USA, Russland oder China und machen sich diese geneigt. Welche Opposition will noch den Aufstand gegen Sie wagen, wenn Sie eine Atommacht im Rücken haben? Noch besser: Nicht einmal die Amerikaner können Ihnen jetzt noch etwas anhaben, selbst wenn Sie Ihr eigenes Volk jahrelang bombardieren sollten, denn wer will denn einen Weltkrieg? Dann lieber einen Krieg nur in Ihrem Land, den die UNO dann notgedrungen nur noch verbal verurteilt. Sie haben soeben die Weltgemeinschaft schachmatt gesetzt. Politik kann doch Spaß machen!
Austritt aus Internationalen Organisationen
Es muss ja nicht gleich der Austritt aus der UNO sein – hier bieten sich auch immer Möglichkeiten, sich in ein gutes Licht zu setzen oder durch das Veto einer Großmacht Schutz zu genießen. Aber aus dem Internationalen Strafgerichtshof sollten Sie schon austreten, sollten Sie ihm leichtsinnigerweise irgendwann beigetreten sein, denn Sie laufen sonst Gefahr, selbst einmal dort zu landen oder wären verpflichtet, so manchen Amtskollegen bei Staatsbesuchen in Ihrem Land nach Den Haag zu überstellen, und das entspricht sicher nicht Ihren edlen Traditionen der Gastfreundschaft. Aber sagen Sie öffentlich etwas anderes, zum Beispiel, das Tribunal sei einseitig gegen Ihren Kontinent eingestellt und damit Ausdruck westlicher Arroganz, welche Sie in aller Form zurückweisen. Und wieder einmal haben Sie Ihrem Volk bewiesen, wie Sie es vor aller Welt in Schutz nehmen, bei gleichzeitigem Schutz Ihrer eigenen Person. Abschottung hat noch keinem Tyrannen geschadet. Gönnen Sie sich ein wenig davon. Und:
Genießen Sie das Tyrannenleben
Diese Tipps wurden kurz vor dem unerwarteten Triumph des Donald Trump verfasst, der ein neues globales Zeitalter der populistischen Tyrannei eingeleitet und nebenbei bewiesen hat, dass jeder blasierte Schnösel zum Präsident eines demokratischen Landes werden kann, wenn er nur Geld hat und etwas von korrupten Eliten faselt. Nun scheint nicht nur alles möglich im Hinblick darauf, dass sogar alte Demokratien in Tyranneien verwandelbar sind, wenn es den Bürgern egal ist. Sondern vor allem haben sich damit die globalen Maßstäbe verschoben. Die liberalen Demokratien sind bis auf einen Restbestand geschwunden und damit immer weniger der Maßstab für Regierungsführung in der Welt. Die ewigen Mahner aus dem arroganten Westen sind in der Minderheit, nicht mehr zeitgemäß und für Sie somit kaum noch ein ernstzunehmendes Hindernis. Sie haben allen Grund, optimistisch in die Zukunft zu schauen, lieber Tyrann! Machen Sie es sich bequem und genießen Sie Ihr Leben und Ihre Macht. Denn nur um Ihre Macht geht es.
Mai 2017